Kein anderer Architekt des 20. Jahrhunderts war in Korea einflussreicher als Kim Swoo Geun. Während er aber in seiner Heimat bis heute eine Berühmtheit ist, stellt sich uns - auch 25 Jahre nach seinem Tod - noch immer die gleiche Frage, die bereits 1979 ein Time-Life-Redakteur formulierte: „Ob er wohl jemals auch internationale Bekanntheit erlangt?“ Die Ausstellung Dense Modernities: Kim Swoo Geun greift diese Frage nicht allein unter der Perspektive des Bekanntheitsgrades eines Architekten auf, sondern auch zur Inspektion eines Wissensstandes – des Wissensstandes sowohl über die Person Kim Swoo Geuns und seinen Wirkungskreis als auch des Wissensstandes darüber, was Architektur als solche war, ist und sein kann.
Je deutlicher Korea als wirtschaftlicher und politischer Akteur auf der Bühne einer globalisierten Welt in Erscheinung tritt, desto stärker rückt auch der kulturelle Reichtum dieser einstmals isolierten Gesellschaft ins allgemeine Blickfeld. Mit welcher Geschwindigkeit und in welcher Kürze der Zeit aber aus diesen Wassern ein so reicher und komplexer Strom der Kreativität geworden ist, macht diesen zugleich schwer zu erfassen und zu durchschauen. Derart viel hat sich in solch hohem Tempo getan, dass das Denken mit all den Veränderungen gar nicht mitgekommen ist. Dennoch eröffnet die koreanische Verfasstheit neue Verständnismöglichkeiten für die Moderne als ein fortdauerndes globales Phänomen, verleiht gerade sie der Auffassung, dass Geschichte gemacht wird, eine spezifische Bedeutung. Wie aber wird diese Geschichte aussehen? Die Aedes-Ausstellung Dense Modernities: Kim Swoo Geun ergründet und erschließt Gestalt und Wirken Kim Swoo Geuns als einen neuartigen Ausdruck kultureller Konfiguration: als ein dichtes Amalgam aus Autorität, Öffentlichkeit und Freiheit in einer hochdynamischen Gesellschaft.
Kim Swoo Geun wurde 1931 in Cheongjin, in der Provinz Hamgyong-Namdo im Norden Koreas, geboren. Zum Studium schrieb er sich an der National University von Seoul im Fachbereich Architektur ein, für einen von seinerzeit nur zwei Studiengängen mit vierjähriger Dauer. Sein Studium währte noch keine drei Monate, als der Koreakrieg ausbrach. Nicht in der Lage, aus Seoul zu fliehen, wurde Kim von nordkoreanischen Soldaten zum Militärdienst beordert. Mit knapper Not gelang es ihm, sich der Anordnung zu entziehen und er machte sich, gerade 20 Jahre alt, als blinder Passagier auf den Weg nach Japan, um dort seine Studien fortzusetzen. Nach seinem ersten Abschluss am Tokyo Art College, wo er zu den Schützlingen Yoshimura Junjos gehörte, wechselte Kim zum erfolgreichen Masterstudium an die Tokyo University. Im Jahr 1959, Kim war zu dieser Zeit Doktorand in Tokyo, gewann er mit einer Gruppe junger koreanischer Studenten den Wettbewerb für den Entwurf des koreanischen Parlaments. Zwar kam es, da die korrupte Regierung Rhee kurze Zeit später durch einen Volksaufstand gestürzt wurde, nicht zur Verwirklichung des Projekts, doch immerhin versetzte es Kim in den Stand, in seine Heimat zurückkehren zu können.
Kim Swoo Geuns Karriere nahm einen steilen Anstieg, als er die Gunst des neuen Militärregimes Park Chung Hees erlangte. Im Zuge der Industrialisierungsbestrebungen des Landes fielen ihm erste wichtige Projekte zu, die er im skulpturalen Stil des Brutalismus ausführte. Zu den herausragenden Arbeiten dieser ersten Phase gehören die Hill Top Bar (1961), das Freedom Center and Tower Hotel (1963), das Buyeo Museum (1965) und das KIST Main Building (1967). Unter Kims Ägide als Präsident der koreanischen Engineering and Consulting Cooperation entstanden umfassende Planungen für die städtebauliche Neugestaltung der Insel Yoido, zur Sanierung des Zentrums von Seoul und für den Bau eines neuen internationalen Flughafens.
Das Buyeo Museum wurde zur entscheidenden Wendemarke in Kim Swoo Geuns Schaffen. Inmitten einer Stimmungslage, die nach Koreas Reparationsvereinbarungen mit der ehemaligen Besatzungsmacht extrem japanfeindlich geprägt war, wurde der bauliche Stil des Museums ausgerechnet als japanisch abgeurteilt. Für die meisten Karrieren hätte dies wohl das Ende bedeutet, Kim Swoo Geun überstand die Anfeindungen. Jedoch löste er sich in der Folge von seinem früheren skulpturalen Monumentalismus und eröffnete eine neue Werkphase, die seine Identität als moderner koreanischer Architekt begründen sollte. Ziegel sollten fortan sein bevorzugter Baustoff sein und damit sein größtes Augenmerk in Bezug auf Überschaubarkeit der Dimensionen, in räumlicher wie in ornamentaler Hinsicht. Statt sich mit immer imposanter ausfallenden staatlichen und kommerziellen Bauprojekten zu befassen, vollzog Kim einen Richtungswechsel hin zu einem wertebewussten koreanischen Ästheten. Zu den repräsentativen Bauten dieser Periode gehören das Space Group Building (1971 und 77), die School of Fine Arts und die School of Music an der Seoul National University (1973), das Olympic Main Stadium (1977), das Munye Theater der Korean Culture and Arts Foundation (1977), die Kathedrale Masan Yangdeok (1978) und die Kyung-dong Presbyterian Church (1980).
Kim Swoo Geun war nicht nur Architekt, sondern auch Anwalt, Liebhaber und Förderer der koreanischen Kultur. 1966 gründete er das Magazin Space, eine Zeitschrift für Kunst und Architektur, die seinerzeit in Korea allein auf weiter Flur war. Nach wie vor ist das seit nunmehr bald einem halben Jahrhundert erscheinende Magazin die bedeutendste koreanische Publikation ihrer Art. 1977 dann eröffnete Kim im Souterrain seines Büros das Space Theater, einen kleinen Raum, der zu einem Zentrum für avantgardistischen Tanz, für Literaturveranstaltungen und Musik avancierte. Pure Leidenschaft und Hingabe an die Sache waren Kims Antriebsfedern, inmitten einer ansonsten kargen Kulturlandschaft Oasen der Kreativität zu schaffen.
Obgleich Kim Swoo Geun im im selben Jahr wie Arata Isozaki geboren wurde, weist seine Entwicklung eher Ähnlichkeiten mit der von Isozakis Mentor Kenzo Tange auf als mit der seines Altergenossen. Er entwarf Denkmale, die der Nation oder dem Kalten Krieg gewidmet waren, trug als Städteplaner zum Wiederaufbau des Landes bei, bereitete den Boden für eine koreanische Architekturmoderne und schuf Räume und Formen, wie man sie bis dahin nie gesehen hatte. Eine historisch wie architektonisch überzeugende Dynamik kann im Rahmen einer derart vielschichtigen Modernität nur aus Intelligenz, Disziplin und Passion entstehen.
Dass die Moderne ein fortdauernder Prozess ist, lässt sich auf der ganzen Welt beobachten. Die ihr zugrunde liegenden Ideen sind so lebendig wie ehedem, wobei sie sich heute in Formen ausdrücken, von denen ihre früheren, eurozentrischen Versionen noch keinerlei Vorstellung zu vermitteln wussten. Behauptete man, unser heutiges kreatives Schaffen gründe nicht auf etwas Früherem, so würde dies bedeuten, wieder einmal einer viel zu engen Vorstellung von Geschichte anzuhängen. Kim Swoo Geuns latente Spätmoderne, das seiner Arbeit innewohnende Gespür für Geschwindigkeit und Intensität, stellt insofern ein offenes Vermächtnis dar, als es uns zum Entwerfen neuer Verbindungen zur Vergangenheit anhält, um so die Gegenwart sinnvoll zu gestalten und visionäre Modelle für die Zukunft zu entwickeln. Dies schließt auch ein bewusstes Verschieben von Zeitebenen ein, durch das Eigenes und Fremdes, Bekanntes und Unbekanntes miteinander verwoben und ihre bisherige Trennung aufgeweicht wird. Das Ergebnis ist eine vielschichtige Moderne, die sich der Welt in aggressiver Offenheit stellt.
Pai Hyungmin, University of Seoul
Die Ausstellung präsentiert sich in Form einer komplexen Raumgestaltung aus Bildern, Modellen und Büchern zu Kim Swoo Geuns architektonischem Oeuvre, seinem Schaffen als Autor und seinem vielgestaltigen Wirken als Kulturschaffender. Als Schautafeln fungieren die in Korea typischen Falttüren mit einer Bespannung aus traditionellem koreanischen Hanji–Papier, das in diesem Fall mit Fotografien und Zeichnungen bedruckt ist. Der erste Teil der Ausstellung stellt Kim Swoo Geuns Biographie nebst seinen kulturellen Unternehmungen vor und gibt einen Überblick über seine architektonischen Werke. Im Hauptraum werden 20 ausgewählte Projekte anhand illustrierter Falttüren sowie 20 Architekturmodelle vorgestellt, zu denen unter anderem das Originalmodell des Wettbewerbsbeitrags zum Centre Pompidou gehört.
Katalog
Zur Ausstellung ist ein Aedes Katalog erschienen.
Mit einem Text von Kim Swoo Geun
ISBN 978-3-937093-17-8
deutsch/englisch
Preis € 10,-
Sponsoren
Kim Swoo Geun Foundation, Space Group, Kookmen University, Arts Council Korea, Zumtobel, ArcelorMittal, Busch-Jaeger, carpetconcept, AXOR Hansgrohe
Diese Ausstellung wurde ermöglicht mit der großzügigen Unterstützung von: