Performative Materialism
Die Ausstellung Performative Materialism ist der Österreichische Beitrag zur 5. Architekturbiennale 2003 in Sao Paulo und wurde von Angelika Fitz, Wien, kuratiert. Sie präsentiert überzeugend eigenständige Positionen einer jungen österreichischen Architektengeneration anhand von Modellen und großformatigen Fotos innerhalb einer räumlichen Installation mit Videoprojektionen.
In der aktuellen urbanistischen Praxis wird der Handlungsspielraum der Architektur zunehmend beschnitten. Sie wird mit der Gestaltung einzelner Projekte und darüber hinaus mit der reibungslosen Verwaltung von Raum beauftragt. Architektur findet sich eingemeindet in den allgemeinen Trend eines "Social Engineering", das sich auf das "Funktionieren" und die Kontrolle des Urbanen konzentriert. Es stellt sich daher die Frage, was die Architektur jenseits der Kommerzialisierung von Raum und der Repräsentation zur Qualität von Stadt beitragen kann?
Die hier versammelten Positionen der Architekten Klaus Stattmann, the next ENTERprise und Wolfgang Tschapeller überschreiten herkömmliche stadtplanerische und architektonische Strategien mit lokalen und fragmentarisierten Praktiken. Das Urbane entsteht für sie aus Vielstimmigkeit und dichten Überlagerungen, es ist nicht immer kontrollier- und planbar und manchmal konfliktreich. Die vorgestellten Projekte durchbrechen starre soziale, ökonomische und räumliche Trennungen in den Städten und ermöglichen ungeplante Begegnungen und Allianzen. Die ArchitektInnen verschieben die Aufmerksamkeit von Strategien der Ordnung und Organisation von Raum auf Handlungs- und Wirkungszusammenhänge, auf Tätigkeiten und Ereignisse. Diese "performative Wende" betont den Handlungs- und Aufführungscharakter von Architektur; die Bedeutung der Dinge entsteht durch ihren Gebrauch.
Wie diese Ausstellung zeigt, dynamisieren solche Eingriffe starre städtebauliche Strukturen. Architektur wird zur Bühne, auf der räumliches Handeln erprobt und verworfen werden kann.
Neben den urbanistischen Entwürfen von Klaus Stattmann, the next ENTERprise und Wolfgang Tschapeller zeigen ihre ebenfalls präsentierten Referenzprojekte, wie die Radikalität der konzeptuellen und formalen Ansätze in die Komplexität des Bauens umgesetzt werden kann.
Angelika Fitz, Kuratorin
Zur Eröffnung sprechen:
Kristin Feireiss, AedesBerlin
Christian Prosl, Österreichischer Botschafter
Angelika Fitz, Kuratorin, Wien
Mit herzlichen Dank an:
Österreichisches Bundeskanzleramt/Kunstsektion, Zumtobel Staff, Halotech
Seko Bticino GmbH, Doka Industrie GmbH.
PUBLIKATION: Performative Materialism, Hrsg.Angelika Fitz, 128 S., dt./engl., Triton Verlag, Wien, 2003,
ISBN 3-85486-181-8; € 27.-
Rezensionsexemplare: tel +43-1-5248785-0; fax -18, [email protected], http://triton-verlag.com
Klaus Stattmann wurde 1963 in Kärnten geboren; Architekturstudium an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien; Büro für Architektur und Forschung in Wien seit 1993.
www.splus.at
Die "Riffe" von Klaus Stattmann bewirken eine räumliche und zeitliche Anreicherung der Beziehungen einer Stadt zu ihren konstitutiven Grenzen, Einschnitten und Unterbrechungen. Nicht mehr Landschaft und noch nicht Architektur, gleichen die Konstruktionen dem "Zwischenwesen" Korallenriff, dessen Identität zwischen Tier und Pflanze angesiedelt ist. Als "performative Zwischenräume" erweitern sie die Kultur/Stadt/Naturlandschaften durch Seitenwege, Lichtungen und Unterschlüpfe. Die widerspenstigen Raumgefüge können nicht einfach konsumiert werden, sondern müssen erobert und angeeignet werden. In der verschwenderischen Erhöhung dieser Umständlichkeit, wie sie Stattmann postuliert, werden starre räumliche Verwaltungs- und Kontrollkonzepte konterkariert. Die Bespielbarkeit der Räume verändert sich ständig; die wechselnden Benutzer erweitern, bauen an und reißen weg. Potentielle Konflikte werden riskiert und nicht entschärfend vorweg genommen. Die Riffe tragen Spuren von Konflikten und riskanten Manövern - Riff (italienisch: rischio) stammt ursprünglich vom Wort Risiko ab. Die Riffe können wie beim Donaukanalprojekt in Wien horizontale Ausbreitungen oder wie beim Accidental Tower in Dublin vertikale Schichtungen annehmen. Die erhöhte Umständlichkeit auf der Ebene der Verräumlichung wird auf der Zeitebene mit der produktiven Integration des Zufalls potenziert.
the next ENTERprise – architects
Ernst J. Fuchs (geb. 1963) und Marie Therese Harnoncourt (geb. 1967) gründeten the next ENTERprise im Jahr 2000 in Wien. Beide sind Absolventen der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien, und arbeiten seit Anfang der neunziger Jahre zusammen (bis 1998 gemeinsam mit Florian Haydn als the Poor Boy's Enterprise).
www.thenextenterprise.at
In den urbanen Interventionen von the next ENTERprise werden Zeitfelder zu Baugründen, erhalten Zeiträume wechselnde Sichtbarkeiten. Ernst J. Fuchs hat bereits Anfang der 90er Jahre prädigitale Versionen generativer Städteplanung entwickelt, die inzwischen von tnE erweitert werden. Ihre architektonischen Apparaturen erhöhen die Komplexität sowohl des Entwurfsprozesses als auch des Gebauten. Während sich diese evolutionären Skulpturen ausbreiten und wieder zurückziehen, involvieren die Strukturen sich selbst, die Architekten und die Benutzer in vielschichtige Ereignisketten. Die Architektur soll den Benutzern ermöglichen, in Aktion und in Interaktion zu treten. Mit ihren "aufgeladenen" Bauplastiken generieren tnE flüchtige und zugleich intensive räumliche Präsenzen. In ihren radikalsten Ausformulierungen transformieren diese ephemeren architektonischen Skulpturen am Ende, nach ihrer generativen Reise durch die Zeit, wieder zu Leerstellen mit unbekanntem Potential.
Wolfgang Tschapeller wurde in Osttirol geboren, studierte Architektur an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien, an der Cornell Universität, USA; Lehrtätigkeit an der Cornell Universtität und an der Inha Universität Seoul, Büro in Wien seit 1993.
Wolfgang Tschapeller verwendet vorhandene Gebäude oder Reststrukturen von Gebäuden, wie zum Beispiel von Stahlbetonskelettbauten aus den 60er Jahren, aber auch Verkehrswege, Brücken oder künstliche Aufschüttungen als dreidimensionalen Baugrund. "In der Stadt gibt es keinen Boden, man baut generell auf zufälligerweise mehr oder weniger oberflächenbündigen Gebäuden. Man könnte schon längst mit anderen tektonischen Systemen arbeiten, nicht mit Systemen von Fundament und Last, sondern beispielsweise mit einer Tektonik von Kontakt und Reibung." Architektur mutiert zur Besiedlungsform zweiter Generation. Gebäudeteile und Programmteile werden in bereits vorhandene Konstruktionen ein- und ausgelagert. "Es ist das, was ich CATSCAN nenne, wenn eine Katze durch die Wohnung streift und nach dem Ort sucht, der ihr für den Mittagsschlaf am besten geeignet scheint. Katzen lesen keine Raumprogramme." (W.T.)